Ich war mit dem voll ausgestatteten goldenen Flügel von Honda unterwegs und hab das Bike auf mich wirken lassen. Hier meine Eindrücke, Erfahrungen und Begegnungen mit dem Schiff.
Als ich die Wing in Wien abholte, strahlten meine Augen bestimmt so sehr wie die LED-Scheinwerfer der Honda. Schon seit ich das erste Mal auf diesem Motorrad gesessen habe, das war auf der EICMA im vergangenem Jahr, wollte ich sie unbedingt testen. Ich habe ein besondere Vorliebe für diese dicken Gefährte und sie gilt ja als die Königin eben dieser.
Diesmal hat das Abholen des Bikes etwas länger gedauert, das war nicht nur dem Umstand geschuldet, dass sie schwer und kaum verzurrbar war, eher den endlos vielen Spielereien, die sie mitbringt. Ich hatte versucht mir so viel wie möglich zu merken, von dem was mir da alles erklärt wurde, aber schlussendlich wollte ich damit einfach losdüsen.
Als ich endlich in Graz damit angekommen war und sie auch gut vom Anhänger gebracht hatte, konnte ich nicht mehr warten und musste sofort die ersten Kilometer damit machen. Es kommt nicht oft vor, dass ich so ungeduldig bin, wenn ich ein Bike zum testen bekomme, aber dieses Bike bewundere ich schon seit ich ein kleiner Junge war.
Ich fuhr also zuhause los. Zuerst nur schnell in die City, ins Büro. Da war ich das erste Mal von ihr begeistert. Ich hatte mit vielem gerechnet, aber nicht mit so einer Leichtigkeit und guten Manövrierbarkeit. Durch die schmale Taille ist es ein leichtes durch die Grazer Innenstadt zu stauen. Der Stop-and-go Verkehr geht, dank dem 7-Gang-DCT noch leichter von der Hand. Das erste große Aha-Erlebnis sollte aber nicht lange auf sich warten lassen. Mitten in der Stadt, ich rollte als erster auf die Ampel zu, welche soeben auf rot sprang und hielt an. Kaum stillgestanden ging der Motor aus und leichte Nervosität kam hoch. Ich dachte mir: „Wie soll ich diese knapp 400kg jetzt möglichst schnell und ohne viel Aufsehen von der Straße bekommen?”
Aber das konnte doch nicht sein. Es gibt keine Kupplung, also abwürgen war nicht möglich. Dann schoss mir der nächste Gedanke ein, etwas das ich bereits mal erlebt hab: „Ich hab den Schlüssel (Keyless-go System) zuhause neben dem Bikeabstellplatz liegen gelassen und jetzt schaltet sich das System ab.” Schweißperlen begonnen sich auf meiner Stirn zu bilden. Dann wurde es auch schon grün und in meiner beginnenden Panik habe ich das Gas wohl bewegt und brrrroooaarrrrrrrrrrrrrr….. Das Bike sprang an und fuhr ohne wenn und aber weiter. In diesem Moment viel mir ein kleines Lämpchen auf der rechten Seite des großem Armaturenbrettes auf und auf einmal war alles gut: Start-Stop-Automatik.
Die nächsten Kilometer gewöhnte ich mich ein wenig auf die moderne Designerküche ein und hatte, dank dem unglaublichen Drehmoment des 6-Zylinder Boxers, riesig Spaß. Obwohl sie gerade mal 126 PS hat, schiebt der 1833 ccm Motor mächtig an und lässt so manche Bikes und Sportcabrios ganz schön stehen und die Blicke der Porschefahrer sind einfach zu toll um es nicht zu tun.
Am Wochenende beschloss ich dann eine größere Tour zu machen. Ist ja eine Penthousewohnung mit Designerküche und Tiefgaragenplatz auf zwei Rädern. Also alles eingepackt was man so braucht wenn man für zwei Tage das gewohnte Umfeld verlässt. Beim Packen war ich dann froh, dass ich doch nur zwei Tage und nicht Monate unterwegs war, denn eines hatten die Architekten dieses tollen Apartments leider vergessen. Stauraum. Angeblich gab es dazu einige Studien etc. und man ist zu dem Schluss gekommen, dass die Schnittigkeit und Aerodynamik deutlich wichtiger sei als genügend Gepäck transportieren zu können. Aber für zwei Tage reicht es allemal. Sie bietet insgesamt 110 Liter, die Vorgängerin 150 Liter (in etwa das Fassungsvermögen eines großen Topcases mehr). Was mich am Stauraum am meisten gestört hat, man kann diesen nicht oder nur schwer individuell erweitern. Denn auf die lackierten Koffer bindet man nicht gerne Packrollen drauf und auf dem Tank ist ein Tankrucksack auch nicht sehr ratsam, da er im Falle eines auslösenden Airbags, bestimmt die gesamten Unterhosen und Co in der Botanik verteilen würde. Ist dann zwar sicher nicht das primäre Problem, aber es ist eines 😉 .
So, alle sieben Zwetschken verstaut, ein bisschen Reservegewand, Kochgeschirr, Schuhe etc. alles für den ordentlichen Ausflug mit einem Wohnmobil in der Größenordnung dabei.
Für mich waren es die ersten Kilometer auf freier Straße mit der Goldwing und es fühlte sich unglaublich befreiend an. Gute Musik tönte aus dem Soundsystem, das elektrisch verstellbare Windschild hatte, dank der schnellen Bedienung mit dem linken Zeigefinger immer die richtige Position und es merkte sich diese auch noch. Denn zum Schlafengehen, wenn man alle Türen hinter sich schließt, fährt das Schild auf die niedrigste Stellung und beim Start wieder in die letzte Stellung zurück. Sitzheizung, Griffheizung, Tempomat, Navi, Bluetooth und, und, und… ist natürlich alles an Bord was das Herz begehrt.
Ich cruiste also so über unsere Landstraßen dahin, um endgültig den urbanen Raum zu verlassen und um dem Flügel mal die Chance zu geben mir seine sportliche Seite zu zeigen. Immerhin ist ein “Sportmode” mit an Bord. Also umgeschaltet auf Sport und rein in die ersten Kurven. Das war zumindest mein Gedanke, denn der Motor verleitete in dieser Einstellung durchaus zum beherzten Dreher im rechten Handgelenk. Allerdings hatte ich die Rechnung wieder ohne den Architekten gemacht. Denn die Fußrasten waren schnell am Boden, aber das war nicht das Problem. Eher der Motorschutz, der kurz darauf folgte, denn dieser gab nicht nach. So hatte ich alle Hände voll zu tun, um sie dennoch ums Eck zu bringen. Es folgten wieder einige Kilometer, um den optimalen Fahrstil, für eine sportliche Fahrweise auszutesten. Und auch das ist geglückt. Man bekommt dann natürlich ein Gefühl für die maximale Schräglage und wenn man mit mehr Speed fahren möchte, muss man mit dem Körper in die Kurve und in den hängenden Fahrstil wechseln. Die Blicke anderer Biker sind garantiert!
Ich machte eine schöne Tour durch die Steiermark, Oberösterreich, Salzburg und Kärnten und an diesen beiden Tagen habe ich am eigenen Leib erfahren, dass die Gute nach rund 44 Jahren auf dem Markt noch immer eine gewaltige Anziehungskraft hat. Kaum abgestellt tummeln sich Leute um sie und bewundern sie. Was das schöne dabei ist, es sind nicht nur Biker. Wenn man dann aufsteigt und sie mit dem integrierten Retourgang rangiert, werden die Blicke noch begeisteter.
Was hat mir gut gefallen?
Fast alles. Es ist für mich ein unglaublich tolles Motorrad/Wohnung/Küche/Wohnmobil und legt trotz der großen Masse und Maße eine wahnsinns Performance an den Tag. Für den Preis von € 39.990,00 bekommt man auch viel. Es gibt kaum elektronischen Schnickschnack der nicht an Bord ist, auch ein Navi ist bei jeder Ausführung fix dabei. Die neue Vorderradaufhängung lässt sie so ruhig über die Straßen fliegen, dass sie dem Namen Flügel alle Ehre macht. Beim Bremsen gibt es dadurch kaum ein Einknicken und Schläge verschwinden praktisch im Nichts. Aber dennoch hat man nie das Gefühl, nicht direkt am Geschehen teilzunehmen. Die Optik ist auch bei dieser Honda vollsten gelungen und absolut stimmig. Es wurde auf jedes noch so kleine Detail geachtet und daran bis zur Perfektion gefeilt. Der Verbrauch liegt im guten Mittel der großhubigen Bikes. Bei mir waren es zwischen 5 und 7 Liter, je nach Fahrweise.
Was hat mir weniger gut gefallen?
Wie auch oben schon erwähnt, fehlt mir ein wenig der Stauraum. Hier finde ich es sehr schade, dass man auf 40 Liter gegenüber der Vorgängerin verzichten muss. Das ist enorm viel. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Übersicht und Bedienung des Bordsystems. Leider ist es hier nicht gelungen, dieses so zu programmieren, dass man sich auf die Straße konzentrieren kann und dennoch eine gewünschte Anzeige umzuschalten oder dergleichen. Es ist auch, für mein Empfinden, Wert auf die falschen Armaturen gelegt worden, was die Sichtbarkeit betrifft. Leider befindet sich der Tempomat, wie bei sehr vielen anderen Herstellern, auf der “falschen” Seite. Man muss mit rechts das Gas halten und zugleich mit rechts die Aktivierung durchführen. Was angesichts des großzügigen Griffs nicht immer leicht fällt.
Und wenn wir hier schon beim Sudern sind, habe ich noch einen Wunsch, der erst auf diesem Bike entstanden ist. Ein Abstandsregeltempomat. Wir haben hier ein Motorrad, was wirklich alle Facetten abdecken kann. Ich kann eine schnelle Kaffeerunde drehen, aber genau so auch auf große Reise gehen. Sie ist ein wirklich umfangreich ausgestattetes Motorrad mit eben fast allem was es gibt, ausser dieser Kleinigkeit. Das würde der Goldwing die Krone aufsetzen.
Fotos: Daniel Obersberger, Honda
Ein Gedanke zu „Schneller wohnen, mit der neuen Honda Goldwing“